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Zuletzt bearbeitet am 14. Januar 2018
(2. Sonntag nach Epiphanias)

Eine Glocke mit NS-Symbolen

Seit der Adventszeit des letzten Kalenderjahres, also seit Dezember 2017, ist in unserer Gemeinde offiziell bekannt, dass eine der Glocken in der Philipp-Melanchthon-Kapelle NS-Symbole trägt.

Die Glocke und ihre Geschichte

Vor einigen Wochen habe ich zum ersten Mal ein Smartphone-Foto der Glocke in Augenschein genommen. Es ist ein Adler zu sehen, nach links blickend, der in seinen Krallen einen Kranz mit einem Hakenkreuz trägt. Um die Glocke herum ist eine Inschrift, deren Text mir bis heute nicht bekannt ist.

Als die Philipp-Melanchthon-Kapelle im Oktober 1935 in Berlin-Rudow eingeweiht wurde, hatten die damals Verantwortlichen beschlossen, ihre beiden Glocken mit den Hoheitszeichen des NS-Staates zu schmücken. Die größere der beiden Glocken wurde im Krieg eingeschmolzen, die kleinere blieb der Gemeinde erhalten. In der Nachkriegszeit wurde eine neue große Glocke in den Turm gehängt, und bis Ende November 2017 läuteten beide zusammen. Seit wir offiziell davon wissen, schweigt die Glocke mit den NS-Symbolen.

Das lange Schweigen

Insider wussten von der Naziglocke schon lange; mir ist es seit Mitte der 80er Jahre bekannt gewesen. Ich bin gefragt worden, wie ich mit diesem Wissen so lange leben konnte. Einiges fällt mir dazu ein:

Ich glaube nicht, dass von einer Glockeninschrift, die kaum bekannt ist, irgendeine Zauberwirkung ausgeht, die die Seelen oder Gehirne ihrer HörerInnen beeinflussen oder schädigen könnte.

Unsere Gemeinde hat sich in der Vergangenheit immer wieder mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und auch mit tagesaktuellen Formen des Rechtsextremismus auseindergesetzt. Wir befassten uns mit dem Leben und der Theologie Dietrich Bonhoeffers, nahmen zum Wahlerfolg er Republikaner 1989 ebenso Stellung wie zu rechtsextremistischen Vorfällen in Rudow. Als Brandanschläge auf Wohnhäuser migrantischer Mitbürger verübt worden waren, gründeteten wir mit ihnen zusammen eine Nachbarschaftsinitiative, die einige Jahre bestand. Im Konfirmanden-Unterricht gehört die deutsche Vergangenheit zum Unterrichtsstoff. Im Jugendkeller haben wir uns zu rechtsextremen Ansichten immer klar positioniert

Aber ich gebe zu: Ich hatte mich an diese Glocke eben gewöhnt.

Ich schätze, heute natürlich nur im Rückblick, die Gemeindesituation so ein, dass die Gemeinde lange nicht in der Lage gewesen wäre, mit dieser Glocke bewusst, reflektiert und konstruktiv umzugehen. Sie wäre entweder tabuisiert worden, oder man hätte sie als Schachfigur für innergemeindliche Scharaden missbraucht.
Unsere Gemeinde hatte sich zudem in den vergangenen Jahrzehnten, auch um sich von der Nachbargemeinde der Martin-Luther-King-Kirche abzugrenzen, ein unpolitisches Selbstverständnis gegeben. Eine Debatte um eine NS-Glocke hätte uns als Gemeinde überfordert.

Perspektive

Heute sind wir an einem anderen Punkt. Wir tun richtig daran, diese Glocke für immer schweigen zu lassen. Und bis auf weiteres klingt auch die einzelne, tiefere Glocke gut. Und als Gemeinde haben wir die Chance, mit unserem braunen Erbe offensiv umzugehen. Ich werde daran mitwirken.

Uwe Heiland
im Januar 2018


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