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Eine Prostituierte, die ihr erstes Opfer in Notwehr töten musste, wird zur Serienmörderin, um ihre lebenslustige, aber lebensunerfahrene Geliebte mit der Raubbeute versorgen zu können.
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(Gesehen am 13. April 2004 in der Sneak-Preview der "Passage", Neukölln)

Der Film erzählt nach wahren Begebenheiten die Lebensgeschichte von Aileen Wuornos, einer etwa dreißigjährigen Prostituierten, die Ende der 80er Jahre in den USA erfolglos versucht, sich mit ihrer Freundin, der achtzehnjährigen Selby, eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Aber der Kleinstadt-Mief der christlich geprägten USA lässt ihnen keinen Raum: weder können sie unbehelligt eine lesbische Beziehung leben, noch kann Aileen Fuß fassen in der normalen Arbeitswelt.

Gezeigt werden Bewerbungsgespräche, bei denen Aileen zwar ihre Qualitäten und ihre Erfahrungen in allgemeinen Worten anpreist, aber zugleich ihren Lebenslauf verschweigt. Durchaus ist sie eine starke Frau – aber sie bleibt den Beweis schuldig, in welch rauher Wirklichkeit sie sich tatsächlich behaupten konnte. Die Personalchefs wittern ihren nicht-bürgerlichen Lebenweg und lassen sie auflaufen. Ihre Vorstellungsgespräche beendet sie wiederholt mit Flüchen und Verwünschungen aus der Gosse. Sie bleibt, wo sie hergekommen ist.
Zu diesem allen entlarvt Aileens nüchterne Stimme aus dem Off die Hohlheit autosuggestiver Techniken, die vorgaukeln, man müsse ein Ziel, um es zu erreichen, nur wirklich genug wollen.

Als der Traum von der legalen Erwerbsarbeit ausgeträumt ist, geht sie wieder der Prostitution nach. Ihre Lebensbeziehung ist Teil eines Teufelskreises, von dem sich Aileen ins Verbrechen ziehen lässt: sie übernimmt die Rolle der Ernäherin, die Selbys lebensfrohe Naivität von der Welt draußen abschirmen will. Selby ist eine Mittelstandsgöre, die kein Verhältnis zum Geld hat, eine lesbische Frau, die gerade erst achtzehn geworden ist, eine junge Frau, die von ihrer Lebenssituation völlig überfordert ist. Dem einen oder anderem Zuschauer geht bei ihrem Gebaren das Messer in der Hosentasche auf … – mich regt sie nicht so auf.
Ihrer beider Leben finanziert Aileen, indem sie einige ihrer Freier tötet. Dabei macht sie ihrer Freundin Selby etwas vor, tut so, als ginge sie anschaffen, wo sie doch tatsächlich Raubzüge unternimmt. Schließlich offenbart sie sich der Freundin als Mörderin, die plant, was sie ausführt. Und sie rechtfertigt ihr Tun gegenüber Selby, der Gesellschaft und – Gott. Sie ist zur Verbrecherin geworden, die der Doppelmoral ihre Zähne zeigt.
Der Film ist weit davon entfernt, ihre Untaten zu heroisieren. Einen verheirateten Freier tötet sie in der Annahme, er sei zu feige, seiner Ehefrau die versauten Wünsche zu offenbaren. Beim Durchwühlen seiner Brieftasche muss sie erkennen, dass seine Frau im Rollstuhl sitzt. Einen anderen Mann, der sie belasten könnte, tötet sie, obwohl er um sein Leben bettelt. Der Männerhass hat sie blind gemacht, in einem verbrecherischen Lebenslauf ist sie gefangen.

Seit sie acht Jahre alt war, wurde Aileen Wuornos vom Freund ihres Vaters sexuell missbraucht. Der Vater glaubte ihr nicht und verprügelte sie stattdessen, so dass der Freund weitermachen konnte, bis er tödlich verunglückte. Als junge Frau musste sie ihre jüngeren Geschwister ernähren und tat dies in horizontaler Lage. An einer Stelle des Films formuliert sie sinngemäß: "Vieles ist leichter auszuhalten, als man denkt. Wirklich weh tun die Kleinigkeiten."

Hat Aileen eine Chance gehabt, ihr Leben anders zu führen? Zweierlei ist denkbar: Zum einen hätte sie den erlittenen Missbrauch vollständig verdrängen müssen. Dann aber hätte sie durch ihr Schweigen und Verleugnen Gewalt und Unrecht gedeckt. Oder aber, sie hätte Raum und Zeit haben müssen, den Missbrauch so zu verarbeiten, dass sie in der Erinnerung an die Demütigung das entdeckt, was ihr Kraft zum Weiterleben gegeben hat. Und sie hätte Menschen haben müssen, die ihr glauben.

Im letzten Bild des Films führen zwei Vollzugsbeamte die zum Tode verurteilte Aileen in ein gleißendes Licht. Nach zwölf Jahren Todeszelle stirbt sie 2002 an der Giftspritze.

Uwe Heiland
Berlin, im April 2004

Aktualisiert: 5. April 2011


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