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Zuletzt bearbeitet am 22. Oktober 2016

Lehren aus dem Wendejahr

Als SEW-Mitglied hatte ich damals auf das Ende der DDR keine Flasche Sekt geöffnet. Trotzdem bin ich Ende November 1989 nicht aus allen Wolken gefallen, weil in den Diskussionen der Perestroika-Zeit schon vieles gedacht und vor allem ausgesprochen worden war – auch bei uns in der SEW. Zwei Gedanken hatte ich in der Zeit der Wende formuliert, die ich als Überschriften für das Folgende nehmen möchte.

„Lieber ein gescheiterter Kommunist als ein triumphierender Antikommunist!”

In der alten Bundesrepublik und in dem ummauerten West-Berlin gab es einige Linke, die sich allerlei Illusionen über die DDR gemacht hatten. Zu diesen Menschen gehörte auch ich. Das lag bei mir vor allem daran, dass ich kaum auf Antikommunisten traf, die differenziert argumentieren konnten. Wer dann wenigstens wusste, dass Dialektik nichts mit Ulbrichts Dialekt zu tun hatte, konnte sich da schon fast zu den Links-Intellektuellen zählen. Leider hatten wir Linke über all dieser Einfalt aus dem Blick verloren, dass die DDR nicht eine sozialistische Zukunft in sich trug, sondern eine Diktatur war, die insbesondere mit Hilfe des MfS viele ihrer Bürger einerseits unterdrückte, andererseits korrumpierte.
Trotzdem: Diesen speichelspritzenden Kommunistenfressern mit ihren hasserfüllten Blicken, die jeden nach drüben wünschten, der anders war als sie, wollte ich mich nicht gleich machen.

Es gab viele Wege, in die Fänge des MfS zu geraten: Die einen wurden erpresst, andere bestochen, wieder andere bei ihren Eitelkeiten oder ihrer Rachsucht gepackt. Nach der Wende trat vieles dann ans Tageslicht, was bei genauem Hinsehen jeder immer wissen konnte.
Hätte ich der Versuchung, diesem Geheimdienst zu dienen, widerstehen können? Ich beantworte diese Frage nicht, sondern beuge mich in Demut und danke Gott dafür, dass ich in der Traumwelt meiner Utopien nicht geprüft und versucht worden bin.

„Ich verstehe die Leute, die bei Hitler mitgemacht haben.”

Hier komme ich zu meiner wichtigeren Lehre: Es gibt immer viele gute Gründe, für eine Diktatur zu sein: „Sozialismus oder Barbarei!” ‒ Lehrte das nicht die große Rosa Luxemburg? Möge sie auf Jahrhunderte in Deutschland geehrt werden, diese große kleine Frau, die noch ihren Rocksaum genäht hatte, bevor die Freikorps-Soldateska sie erschoss!
Aber es geht auch rechts herum: „Schanddiktat von Versailles” ‒ Mit welchem Recht schoben die militärischen Sieger den Deutschen die Alleinschuld an einem Weltkrieg zu, den alle gewollt, den alle vorbereitet, dem alle zugejubelt hatten?
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Menschen die Chancen der Weimarer Republik nicht erkennen konnten und wollten. Vielleicht wäre auch für mich in den 30er Jahren ein Hitler die einzige Hoffnung gewesen. Und die suggestive Kraft der Riefenstahl-Bilder lässt mich nicht kalt.

Aber bei aller Strahlkraft von Diktaturen: Was ist mit denen, die in die Fänge einer Diktatur geraten? Die nicht mitgehen können oder wollen? Und weiter: Wissen wir, was in den Abschiebegefängnissen geschieht? Wollen wir wirklich wissen, wie es chinesischen Strafgefangenen geht, die in Zwangsarbeit Markenklamotten herstellen? Das Nicht-Hinsehen ist eine Kunst, die wir noch heute gut beherrschen.

In der entfremdeten Welt des hoch-organisierten Kapitalismus kann jeder der Versuchung erliegen, in verdinglichtem Bewusstsein zu erstarren. Mir ist das in den 80er Jahren so ergangen. Das will ich, mit Gottes Hilfe, nicht wieder tun. Amen.

Uwe Heiland,
Berlin, im Oktober 2016

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