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Zuletzt bearbeitet am 20. Oktober 2018

Meine Jahre in der SEW

Der erste Kontakt mit der Partei war das Abo der Zeitung "Die Wahrheit". Diese Zeitung erschien täglich, bis auf die Sonn- und Feiertage. Mir wurde sie immer durch Zeitungsausträger, die in der Regel GenossInnen waren, zugestellt. Meine Zustellerin war Ursel Junge, die Mutter von Volker. Später habe ich ihre Tour vertretungsweise übernommen.
Am Anfang war die Zeitung für mich eine linke Informationsquelle über Stadt, Land und Welt. Aber sie führte mich auch in die Lebenswelt der Kommunisten ein. Meine Zurückhaltung und Skepsis nahm ab.

Meine marxistische Grundhaltung brachte mich in immer größeren Konflikt mit der SPD. Ich habe die SPD nicht im Zorn verlassen, sondern in der Überzeugung, mit der SEW den für mich richtigen Weg zu gehen. Aber immer war mir klar, dass viele Menschen gute Gründe hatten, dem Kommunismus abzuschwören. Aber ich war in die bereits geteilte Stadt hineingeboren, und die Entspannungspolitik hatte alte Feindbilder gelockert. Die Kommunistenfresser in Westberlin gingen mir irgendwann nur noch auf den Keks.

Erster persönlicher Kontakt

Im Jahre 1985 sollte das Abgeordnetenhaus neu gewählt werden. 1984 war mir klar, dass ich die SEW wählen würde. Und den Wahlkampf wollte ich nutzen, diese Partei kennen zu lernen. Irgendwann im Herbst 1984 betrat ich zum ersten Mal das Kreisbüro der SEW in der Schudomastraße. Sinngemäß erklärte ich zweierlei:

  1. Zwar wäre ich noch Mitglied der SPD, aber ich plante, diese Partei zu verlassen, um die SEW im Wahlkampf zu unterstützen. Ich wäre auch an einer Mitgliedschaft interessiert.
  2. Die Mauer wäre für mich aber kein antifaschistischer Schutzwall, sondern gebaut, um die DDR-Bürger an der Flucht zu hindern. Das würde ich natürlich nicht am SEW-Infostand, aber innerparteilich vertreten.

Der spätere Genosse Hans Sahle, dem ich das erklärte, nahm das zur Kenntnis und widersprach mir nicht grundsätzlich, sondern deutete die Mauer als eine Folge des Kalten Krieges: sie würde den Ort markieren, an dem die Macht des Westens endete. Außerdem waren wir uns einig, dass die Mauer eine späte Kriegsfolge wäre.

Heute schätze ich unser Gespräch so ein, dass wir damals gespalten waren. Bestimmte Lebenslügen konnten wir intern benennen, aber extern vertraten wir die Parteilinie oder widersprachen ihr wenigstens nicht.

Eintritt in die SEW

Ich trat am 8. Mai 1985 der SEW bei. Das war kein Zufall, sondern meine Antwort auf Shoa und Weltkrieg: für mich ging es darum, den Weg des Neuanfangs von 1945 weiterzugehen.

Es ist mir wichtig zu betonen, dass ich mit meiner Überzeugung stets offen um gegangen bin. Wer mich damals kannte, wusste, wo ich organisiert war. Meine SEW-Mitgliedschaft lebte ich als offenes Bekenntnis.

Als junger Mann hatte ich die Hoffnung, dass die DDR wenigstens im Keim eine Gesellschaftsordnung in sich trüge, die langfristig zukunftsfähig wäre. Ein Paradies war sie für mich nicht. Zudem waren für mich die Zeitumstände des Kalten Krieges eine Folge des verlorenen deutschen Angriffskrieges. Die Sowjetunion hatte 1945 nicht die geringste Veranlassung, dem deutschen Volke einen funktionierenden Rechtsstaat zu schenken.

Meine Jahre in der SEW waren von der Tschernobyl-Katastrophe und Gorbatschows Politik geprägt. Ich hatte die Hoffnung, dass der Sozialismus sich noch einmal reformieren könnte. Heute denke ich, dass die Biermann-Ausbürgerung ein Tiefpunkt war, aus dem die DDR nicht mehr herauskommen konnte.

Ich habe die Mauer immer als einen Makel gesehen, aber ich gehörte nicht zu denen, die ein ständiges „Die Mauer muss weg!” ausposaunten. Die meisten, die so sprachen, schwiegen vom Weltkrieg. Für mich war die deutsche Teilung eine Kriegsfolge, und ich war glücklich, als die Mauer fiel.
Kurze Zeit danach brach die Scheinwelt, in der wir SEWler lebten, zusammen.

Im September 1993 trat ich wieder in die SPD ein. Das war nicht reumütig, aber gereift, gelassen und nachdenklich. Mir ist es so, als hätte ich in den Jahren von 1981 bis 1993 einen geschichtlichen Prozess neu so durchlebt, wie es eben möglich war. Er bekam mir auch besser, denn sowohl das Nazi-KZ wie auch der Gulag blieben mir erspart.

Wird fortgesetzt!


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